Weiterbildung stärkt die Demokratie

Abschlusskonferenz Mentoren.Bilden.Zukunft

Am 23. Oktober 2024 fand im Hotel Hafen Hamburg die feierliche Abschlussveranstaltung des Projekts Mentoren.Bilden.Zukunft statt.

Das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt wurde von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) gemeinsam mit dem Institut für Training und Projekte (iftp) und dem Bildungszentrum Oberjosbach (BZO) initiiert. Ziel war es, eine nachhaltige Weiterbildungskultur in Betrieben zu verankern, die langfristig zur Sicherung von Fachkräften beiträgt und die Demokratie am Arbeitsplatz stärkt. Die Konferenz brachte alle wichtigen Akteur*innen zusammen, die das Projekt unterstützt oder aktiv begleitet haben.  

Prof. Dr. Andreas Diettrich von der Universität Rostock verdeutlichte in seinem Vortrag, wie Betriebe nicht nur Produktionsstätten, sondern auch Lernorte sind, welche die Kompetenzen der Beschäftigten stärken. Er betonte, dass erfolgreiche Lernprozesse im Betrieb durch Handlungsspielräume, soziale Unterstützung und gezielte Reflexion gefördert werden. 

Die Rolle der WBM hob er dabei besonders hervor: Sie fungieren als Lernbegleiter*innen und Coaches, die durch kollegiale Unterstützung praxisnahes Lernen ermöglichen. Angesichts der Trends Digitalisierung, Demografie und Dekarbonisierung – die sogenannte „3D-Herausforderung“ – werden flexible, selbstorganisierte Lernkonzepte immer wichtiger. 

Andreas Diettrich schloss mit dem Appell, dass Projekte wie Mentoren.Bilden.Zukunft entscheidend sind, um Weiterbildung in den Arbeitsalltag zu integrieren und auch bildungsferne Gruppen zu erreichen, wodurch die Beschäftigungsfähigkeit gestärkt und eine demokratische Betriebskultur gefördert wird. 

Projektleiter Kosta Stergatos zog in seinem Rückblick ein positives Resümee


Seit dem Projektstart im März 2021 wurden knapp 70 WBM ausgebildet, die mittlerweile in 22 Betrieben an 50 Standorten tätig sind und dort betriebliche Weiterbildungsinitiativen erfolgreich umsetzen. Die WBM, die größtenteils aus den Reihen der Betriebsräte stammen, bilden das Herzstück des Projekts. Durch ihr Engagement leisten sie einen wertvollen Beitrag zur Fachkräftesicherung in verschiedenen Branchen. 

Sie stehen dabei vor vielfältigen Herausforderungen. In vielen Betrieben arbeitet eine hohe Anzahl von an - und ungelernten Kolleg*innen. Zudem sind häufig zusätzliche sprachliche Barrieren vorhanden.  Die WBM sind daher auch Berater*innen, und Fürsprecher*innen, die den Kolleg*innen helfen, Bildungsbarrieren zu überwinden und ihre Kompetenzen zu stärken. Dabei schaffen sie praxisorientierte Qualifikationsmöglichkeiten, zum Beispiel durch arbeitsplatzbezogene Sprachkurse oder berufliche Nachqualifizierungen, wie sie in Betrieben wie Böklunder, DöllingHareico und Rügenwalder angeboten werden. Diese Maßnahmen sind teils eng mit der Bundesagentur für Arbeit und externen Bildungsträgern verknüpft und tragen maßgeblich zur Fachkräftesicherung bei. 

Für die NGG stellt das Projekt Mentoren.Bilden.Zukunft einen bedeutenden Schritt dar


Weiterbildung stärkt nicht nur die individuelle Qualifikation und die Selbstwirksamkeit der Beschäftigten, sondern auch die Position der Mitbestimmungsgremien in den Betrieben. Der kontinuierliche Einsatz der WBM, fördert die langfristige Verankerung einer gemeinsamen Lernkultur in den Betrieben, die über das Projekt hinauswirkt. 

Im Rahmen dieses Rückblicks stellte Doreen Reemer vom Ver.di-Projekt Mendi.net unsere gemeinsame Broschüre „Sie haben einfach gefehlt – Weiterbildungsmentor*innen als Impulsgeber für die betriebliche Qualifizierung“ vor


Die Broschüre betont die Notwendigkeit, Weiterbildung zugänglicher und effektiver für Beschäftigte zu gestalten, insbesondere im Kontext der digitalen Transformation und des Fachkräftemangels. WBM fungieren als Vermittler*innen und Unterstützer*innen, die Kolleg*innen motivieren und bei der Planung ihrer Karriereentwicklung begleiten. 

Auf dem Podium berichteten Betriebsräte und WBM von Böklunder (Jens Feddersen), Coca-Cola (Günther Eisele), Rügenwalder Mühle (Eugen Stecklein), Unilever (Mario Schädlich) und The Family Butchers (Dr. Peter Strelow) über die gelungene betriebliche Umsetzung des Programms. Im Anschluss standen sie dem Publikum Rede und Antwort. Besonders deutlich wurde, mit welchem Engagement die WBM in den Betrieben signifikante Verbesserungen erzielen und Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel einleiten können. 

Hervorzuheben ist die erfolgreiche Nachqualifizierung zur/m Maschinen- und Anlagenführer/in bei Böklunder, DöllingHareico und Rügenwalder.

Ergänzend wurden Sprachlernangebote betont, die insbesondere dazu beitragen, ehemalige Werkvertragsarbeitnehmer*innen aus Südosteuropa zu integrieren. Dieser Schwerpunkt führte besonders bei The Family Butchers zum Erfolg: Dort sollen Sprachlernangebote auch weiterhin ein fester Bestandteil der Weiterbildung im Betrieb sein. 

Der Betriebsrat von Unilever Knorr verhandelt seit einigen Monaten über Umstrukturierungen am Produktionsstandort im sächsischen Auerbach. Hier zeigte sich besonders, dass durch gezielte Weiterbildung ein wesentlicher Beitrag zur Abfederung der Umstrukturierungseffekte geleistet werden konnte. Coca-Cola hat im Rahmen von Mentoren.Bilden.Zukunft mit einer Gesamtbetriebsvereinbarung Bildungsmentor*innen an 25 Standorten in Deutschland etabliert. 

Diese Beispiele zeigen

Mit zielgerichteten Angeboten können Unternehmen nicht nur dem Fachkräftemangel entgegenwirken, sondern auch die betriebliche Gemeinschaft stärken. 

Ein sehenswertes Highlight

war die Weltpremiere unseres Imagefilms, der das Projekt und die beeindruckenden Leistungen der WBM dokumentiert.

Ein weiterer glanzvoller Höhepunkt war die feierliche Überreichung der Zertifikate


Unter großem Applaus erhielten alle anwesenden WBM diese Dokumente. Bärbel Feltrini, Geschäftsführerin des Bildungszentrums Oberjosbach, hielt eine Laudatio, in der sie das Engagement und die Widerstandskraft der Mentor*innen würdigte. 

Besonders erfreulich war, dass wir auch einige der Teilnehmer*innen der Nachqualifizierung zur/m Maschinen- und Anlagenführer/in auf der Abschlusskonferenz begrüßen konnten.
Einen Bericht darüber, wie gut die Etablierung von Weiterbildungsangeboten bei den Beschäftigten ankommt, wurde bereits im Herbst 2023 in der NGG-Mitgliederzeitschrift Einigkeit beschrieben.  

Nach einer kurzen Pause trugen Hoai Nam Huynh und Martina Thomas von der FernUniversität Hagen die Ergebnisse der Begleitforschung vor. Auf Basis ihrer Befragungen in allen gewerkschaftlichen Weiterbildungsprojekten stellten sie die vielseitigen Rollenmodelle dar, die WBM übernommen haben. Besonders prägend war dabei der Begriff der „eierlegenden Weiterbildungs-Wollmilchsau“, der die zahlreichen Anforderungen und Aufgaben sehr anschaulich beschreibt. Die Präsentation hob die Erfolgsgeschichten hervor, die zeigen wie Brücken gebaut werden, um Kolleg*innen zu erreichen, Vertrauen aufzubauen und individuelle Bildungswege zu unterstützen. In ihrer Arbeit legen die WBM besonderen Wert auf die Förderung der Entwicklungspotenziale durch interne Qualifizierungsangebote und den gezielten Aufbau von Kompetenzen. Darüber hinaus wird eine gemeinsame Lernkultur gefördert und durch Durchhaltevermögen sowie teamorientiertes Handeln nachhaltig gestärkt. 

Die abschließenden Erkenntnisse aus der Forschung verdeutlichen, wie WBM die Arbeitsstrukturen positiv beeinflussen, indem sie den Beschäftigten Mut machen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Lernziele zu erreichen. Besonders profitieren dabei Beschäftigte, die üblicherweise selten Bildungsangebote wahrnehmen. Gleichzeitig erleben die WBM selbst einen Entwicklungsprozess, durch den sie eigene persönliche und berufliche Fähigkeiten erweitern. 

In der zweiten Podiumsdiskussion

wurde unter Beteiligung der stellvertretenden NGG-Vorsitzenden Claudia Tiedge intensiv über die Notwendigkeit und Bedeutung von Weiterbildung für An- und Ungelernte diskutiert. Die Podiumsgäste – Serife Erol vom WSI, Barbara Hemkes vom BIBB, Nicola Ingwersen von der Arbeitsagentur und Stefanie Sabet von der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss (ANG) – betonten, dass insbesondere für Beschäftigte ohne formale Berufsqualifikation langfristige und strategisch verankerte Weiterbildungsmaßnahmen entscheidend sind. Diese müssten fest in die Personal- und Entwicklungspläne der Unternehmen integriert werden, um deren Wirksamkeit und Nachhaltigkeit sicherzustellen. 

Besondere Bedeutung wurde vertraglichen Grundlagen wie Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen beigemessen, um verbindliche Rahmenbedingungen für betriebliche Qualifizierungsmaßnahmen zu schaffen. Die Teilnehmerinnen hoben hervor, dass WBM im Betrieb angemessene Voraussetzungen, wie regelmäßige Freistellungen benötigen, um ihre Rolle effektiv ausüben und die Beschäftigten gezielt unterstützen zu können. 

Zudem wurde die Weiterbildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe beleuchtet. Die Podiumsteilnehmerinnen waren sich einig, dass die Förderung betrieblicher Weiterbildung besonders für An- und Ungelernte eine langfristige strategische Investition darstellt. Sie appellierten daher an die Gesetzgebung und die Tarifparteien, klare rechtliche Grundlagen zu schaffen, die WBM und Beschäftigten einen festen Platz im Qualifizierungssystem bieten. 

Bedauerlicherweise läuft die BMBF-Förderung zum Ende des Jahres 2024 aus, so dass die nachhaltige Etablierung einer Weiterbildungskultur in den Betrieben der NGG vorerst nicht gesichert ist. Wie es weitergehen kann, entscheidet sich in den kommenden Wochen. Zurzeit laufen die Vorbereitungen für eine neue Förderrichtlinie. 

Beendet wurde die Konferenz mit dem Schlusswort von Claudia Tiedge.

Sie würdigte den Erfolg und die Wirkung des Programms, das sich zum Ziel gesetzt hat, die betriebliche Weiterbildung zu stärken und so einen nachhaltigen Wandel in verschiedenen Branchen zu fördern. In den letzten vier Jahren hat das Projekt bewiesen, wie wertvoll Mentoring für die persönliche und berufliche Entwicklung ist – nicht nur durch Wissensvermittlung, sondern auch durch generationenübergreifenden Austausch und kollegiale Unterstützung. 

Die NGG betonte die Wichtigkeit einer zugänglichen und integrativen Lernkultur, die allen Beschäftigten – unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Qualifikation – Weiterbildungsmöglichkeiten bietet. In einer sich wandelnden Arbeitswelt kann berufliche Qualifizierung sowohl individuelle Chancen verbessern als auch die Innovationsfähigkeit und Wettbewerbsstärke der Betriebe steigern. Das Projekt setzt sich aktiv für eine solidarische Gesellschaft ein, in der soziale Gerechtigkeit, faire Arbeitsbedingungen und die Mitbestimmung der Beschäftigten im Mittelpunkt stehen. 

Zudem wurde die Demokratisierung durch Weiterbildung betont: Alle Beschäftigten sollen eine Stimme und Zugang zu Bildung haben. Die betrieblichen Vorhaben fördern die Integration benachteiligter Gruppen und stärken die Vielfalt in Unternehmen. 

Ferner wird der Erfolg des Projekts als Ansporn genommen, weiterhin für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. 

Für die NGG ist Mentoren.Bilden.Zukunft mehr als nur ein Projekt

Es ist ein Modell für eine gerechte und partizipative Arbeitswelt. Die Gewerkschaft fordert eine nachhaltige Etablierung und Förderung der Weiterbildungskultur, die nicht von kurzfristigen Finanzierungszusagen abhängt. „Bildung ist eine Säule der Demokratie“, so die zentrale Botschaft der Konferenz. Das Projekt hat gezeigt, dass Weiterbildung nicht nur individuelle Chancen eröffnet, sondern auch zur Stabilisierung der Gesellschaft beiträgt. Die NGG appelliert an die Politik, die Förderungen langfristig abzusichern, um die Errungenschaften von Mentoren.Bilden.Zukunft und ähnlicher Initiativen auch in Zukunft zu ermöglichen. 

Der Tag an den Landungsbrücken endete mit einem unvergesslichen Sonnenuntergang über der Elbe – ein perfekter Ausklang und ein Moment des Stolzes für alle, die zur Verwirklichung dieses Projekts beigetragen haben. 

Vielen Dank an alle, die am Gelingen dieses wundervollen Tages ihren Anteil hatten

Referent*innen, Podiumsteilnehmer*innen, Gäste und Dienstleistende sowie Moderator Robert Spitz, Punctum und der Fördermittelgeber BMBF. Ein besonderer Dank geht vor allem an die Weiterbildungsmentor*innen und Betriebsräte, die drangeblieben sind. Ihr Engagement war die Grundlage für den Erfolg des NGG-Projekts Mentoren.Bilden.Zukunft.  

 
Weitere Impressionen der Abschlusskonferenz