Im Interview mit der einigkeit, der Mitgliederzeitung der Gewerkschaft NGG, zieht Michaela Rosenberger, seit rund zwei Jahren Vorsitzende, eine erste Bilanz und nennt Ziele und Herausforderungen für ihre Organisation.
einigkeit: Michaela, wie geht es dir? Und wie geht es NGG?
Mir geht es gut. NGG ist sehr lebendig und aktiv. Wir haben im letzten Jahr ohne große Vorbereitungszeit unser 150-jähriges Jubiläum gefeiert mit vielen tollen Festen in den Regionen und spannenden Aktionen. Der Mindestlohn – auf unsere Initiative hin im letzten Jahr gesetzlich eingeführt – ist eine echte Erfolgsstory.
"Wir haben gute Tarifabschlüsse erzielt"
Wir haben in den vergangenen zwei Jahren überall gute Tarifabschlüsse in den Landesbezirken erzielt. Mit dem Mindestlohn-Tarifvertrag in der Fleischindustrie ist uns außerdem ein tariflicher Wiedereinstieg in diese Branche gelungen, auf den wir aufbauen können. Wir haben zum ersten Mal in der Systemgastronomie flächendeckende Warnstreiks organisiert und einen guten Tarifabschluss erzielt. Und wir haben intern einiges auf den Weg gebracht, das Erscheinungsbild der Homepage und der „einigkeit" erneuert und einen Prozess zur Weiterentwicklung unserer Arbeitsabläufe begonnen.
einigkeit: Wie sieht es mit den Mitgliederzahlen aus?
Auch dort sind wir insgesamt auf einem guten Weg, seit 2006 sind wir bei den erwerbstätigen Mitgliedern stetig gewachsen. 2015 ist dies leider nicht gelungen – aus einem guten Grund: Es haben viele unserer Mitglieder die Möglichkeit in Anspruch genommen, abschlagsfrei mit 63 Jahren in Rente zu gehen. Daran sehen wir auch, wie wichtig es ist, gute Lösungen für Menschen am Ende ihres Arbeitslebens zu fordern – und wie falsch die Rente mit 67 ist!
einigkeit: Was hat NGG in den nächsten Jahren vor?
Oh, wir haben noch viel zu tun: Gemeinsam mit dem DGB werden wir Initiativen zur „Arbeit der Zukunft", zur Verbesserung der Mitbestimmung und zur Bekämpfung der Altersarmut auf den Weg bringen. Und in den Betrieben vor Ort werden wir wie immer für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Vor allem wollen wir mit Humanisierungs-Tarifverträgen die Älteren entlasten und den Jüngeren Perspektiven bieten - auch um Beruf und Familie besser unter einen Hut zu bringen. Wir beginnen außerdem in diesem Jahr unsere „Initiative Lohngerechtigkeit :was uns zusteht". Auf dem Gewerkschaftstag 2013 haben die von unseren Mitgliedern gewählten Delegierten beschlossen, dass wir die ungleiche Entlohnung für gleiche Tätigkeiten in Betrieben und Tarifverträgen angehen – insbesondere das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen muss dringend aufgehoben werden. Viele Tarifverträge sind vollkommen in Ordnung – oft stellen wir aber fest, dass dennoch unterschiedlich eingruppiert wird: Da müssen wir ran.
einigkeit: Was macht dir Sorgen?
Die aktuelle Entwicklung in Europa. Wir sind dabei, ein großes Friedensprojekt des 20. Jahrhunderts zu verspielen. Das Scheitern einer europäischen Verteilung der Flüchtlinge ist ein großes Drama und eine direkte Folge der völlig falschen Sparpolitik vor allem in Südeuropa. Deutschland hat in der Finanzkrise den anderen Ländern Solidarität quasi verweigert und fordert sie nun in der Flüchtlingspolitik: Wen wundert’s, dass die anderen uns nun im Regen stehen lassen und die Akzeptanz für die Flüchtlinge in unserem Land sinkt. Ich habe mit vielen Mitgliedern gesprochen, die die Einschätzung nicht teilen, dass wir die Aufnahme und Integration so vieler Flüchtlinge schaffen. Ich nehme diese Sorgen sehr ernst und bin froh, dass wir diese Diskussionen miteinander führen. Viel mehr Sorgen als das macht mir die aufgeheizte Stimmung in den sozialen Medien.
"Viele Menschen lassen Hemmungen fallen"
Viele Menschen lassen alle Hemmungen fallen, werden zu „Wutbürgern" und sind nicht mehr bereit zu diskutieren. Rechtspopulisten nutzen diese Situation und haben Zulauf. Die zahlreichen Angriffe auf Flüchtlinge wie zuletzt in Clausnitz machen mich fassungslos. Das sind gefährliche Tendenzen und das lässt befürchten, dass die Akzeptanz für das demokratische Miteinander nicht mehr überall vorhanden ist.
einigkeit: Was muss die Politik tun?
Wichtig sind jetzt schnelle und wirksame Maßnahmen zur Unterbringung und Integration der Flüchtlinge. Unser Land hat schon früher bewiesen, dass es das kann. Dafür muss der Staat jetzt gute Lösungen finden. Aber in dieser undurchsichtigen Situation, in der wir noch nicht einmal wissen, wer alles neu ins Land gekommen ist, möchten die Menschen auch Sicherheit: Sowohl Flüchtlinge müssen sicher vor Nazi-Angriffen sein als auch die gesamte Bevölkerung vor kriminellen Übergriffen durch wen auch immer. Ich meine aber auch die Sicherheit, dass soziale Standards nicht aufgegeben werden und wir weiter an der Korrektur des Sozialabbaus arbeiten.
"Der Mindestlohn darf auf keinen Fall aufgeweicht werden"
Der Mindestlohn darf auf keinen Fall aufgeweicht werden. Wir brauchen nun eine gesetzliche Regelung zur Begrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen, so wie es in der Koalitionsvereinbarung steht – und die Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus muss dringend rückgängig gemacht werden! Diese Sicherheit muss die Bundesregierung vermitteln, mutig handeln und sich nicht von neoliberalem oder populistischem Geschrei in die Ecke drängen lassen.
Nur für Mitglieder: Weiterlesen in Einigkeit 1, 2016