Die Gewerkschaft NGG lehnt den Referentenentwurf der Bundesregierung zur Tarifeinheit entschieden ab. Der Entwurf, der vom Kabinett im Dezember 2014 beschlossen werden soll, sieht vor, dass künftig, wenn sich die Geltungsbereiche von Tarifverträgen, die nicht identisch sind, überschneiden, nur der Tarifvertrag gelten soll, der von der Gewerkschaft mit mehr Mitgliedern im jeweiligen Betrieb abgeschlossen wurde.
Die Gewerkschaft mit der niedrigeren Mitgliederzahl kann dem Entwurf zufolge verlangen, dass ihr Tarifvertrag „nachgezeichnet“ wird, dass also auch für ihre Mitglieder der Tarifvertrag der konkurrierenden Gewerkschaft gilt. Die Mitgliederzahl der Gewerkschaften soll unter notarieller Aufsicht ermittelt werden. Im Streitfall sollen Gerichte entscheiden, welche Gewerkschaft die Mehrheitsgewerkschaft ist.
Für NGG (und alle anderen Gewerkschaften im DGB) hat das Prinzip der Tarifeinheit „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“ hohe Bedeutung. Daran hält die Gewerkschaft NGG fest, da es für den solidarischen Ansatz ihrer Gewerkschaftspolitik steht. NGG will, dass (Flächen-)Tarifverträge die Konkurrenz von ArbeitnehmerInnen untereinander um Arbeits- und Einkommensbedingungen ausschließen. Diese Tarifeinheit muss nach dem Willen der NGG aber politisch durch überzeugende Arbeit im Betrieb hergestellt werden.
Eingriff in das Streikrecht
NGG lehnt den vorgelegten Entwurf insbesondere deshalb ab, weil er – entgegen den Beteuerungen von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und seiner BefürworterInnen– durchaus in das Streikrecht eingreift. Das Streikrecht ist in Deutschland Richterrecht. Wer es ändern will, muss auf eine Änderung der Rechtsprechung zielen. Obwohl der Referentenentwurf offiziell und auf dem Papier dazu keine Regelung enthält, ist sein Hauptzweck die Einschränkung des Streikrechts für die Minderheitsgewerkschaft. Er zielt darauf, die Arbeitsgerichte zu veranlassen, der Minderheitsgewerkschaft, deren Tarifvertrag ja verdrängt werden soll, Streiks zu untersagen, da diese unverhältnismäßig seien. Was soll schon ein Streik, wenn der Tarifvertrag hinterher eh‘ nicht angewandt wird? So die Überlegung der AutorInnen des Referentenentwurfs.
Wenn künftig ein Gericht darüber entscheidet, welche Gewerkschaft die Mehrheit hat und damit festlegt, welcher Tarifvertrag zur Anwendung kommt, wird automatisch mitentschieden, welche Gewerkschaft streiken darf und welche nicht. Ein Streik für einen Tarifvertrag, der nicht zur Anwendung kommen wird, weil er von der Gewerkschaft mit weniger Mitgliedern im Betrieb stammt, wäre aus Sicht der Arbeitsgerichte wohl nicht „verhältnismäßig“ und damit in der Regel nicht rechtmäßig: Der Streik dürfte nicht geführt werden.
Zudem würde ein solches Gesetz zu einem Flickenteppich führen. Die anwendbaren Tarifverträge würden sich von Betrieb zu Betrieb ändern. Wo der Tarifvertrag bei Abschluss gilt, könnte keiner mehr bei Abschluss sagen: keine gute Voraussetzung für durchsetzungsstarke Tarifbewegungen. Warum soll ich für einen Tarifvertrag kämpfen, wenn er hinterher evtl. sowieso für mich nicht gilt, werden sich viele ArbeitnehmerInnen fragen.
Außerdem würde der Einfluss von Minderheitsgewerkschaften durch die im Entwurf vorgesehenen Rechte auf Anhörung durch den Arbeitgeber und auf Abschluss eigener „Nachzeichnungstarifverträge“ gerade dort wachsen, wo sie tarifpolitisch bisher keine Rolle spielen. Die Folge ist klar: „Noch mehr Gewerkschaften in den Betrieben, mehr Auseinandersetzungen vor den Gerichten um tarifpolitische Zuständigkeiten, noch mehr Aufwand für die Arbeitgeber“ (Michaela Rosenberger, 2. November 2014).