In allen Analysen zur Europawahl 2019 wird die gestiegene Wahlbeteiligung betont. Zu Recht: Diesmal hat europaweit wenigstens etwas mehr als die Hälfte ihre Stimme abgegeben. In Deutschland haben sich fast zwei Drittel an der Wahl beteiligt – immerhin. Einig sind sich die Analysten auch, wenn es um das Ergebnis von CDU/CSU und SPD geht: Die ehemaligen Volksparteien wurden abgestraft. Sie haben das entscheidende Thema – den Klimaschutz – verschlafen.
Mit Blick auf den Erfolg der Rechtspopulisten gehen die Bewertungen auseinander – sie sind so unterschiedlich wie die Ergebnisse der Parteien am rechten Rand: Manche Kommentatoren heben die Niederlage der Rechtspopulisten in den Niederlanden und in Dänemark hervor. Andere stellen die Erfolge des rechten Innenministers Matteo Salvini in Italien und von Marine Le Pen in Frankreich heraus.
Keine Überraschung
Wie erfolgreich in manchen Ländern rechte Hetzer um Stimmen geworben haben, ist ernüchternd – aber keine Überraschung. Erfolge haben sie insbesondere dort erzielt, wo die Menschen besonders unter verfehlter Politik zu leiden haben. In Italien, wo ein Drittel der Jugendlichen arbeits- und perspektivlos ist. In Frankreich, wo Reformen einseitig zu Lasten der Schwächsten der Gesellschaft durchgezogen werden. Im Osten Deutschlands, wo die Löhne dreißig Jahre nach dem Mauerfall noch immer deutlich niedriger sind und prekäre Beschäftigung deutlich häufiger als im alten Bundesgebiet ist. Und überall dort, wo es die Politik jahrzehntelang versäumt hat, dumpfe Vorurteile zu entkräften und die Vorteile eines vereinten Europas zu vermitteln.
Nicht länger als Bremser auftreten
Die gestiegene Wahlbeteiligung belegt: Europa liegt Vielen am Herzen – gerade auch in Deutschland. Das ist ein wichtiges Signal: Die Wählerinnen und Wähler erwarten endlich vollen Einsatz für ein zukunftsfähiges Europa der Menschen, und nicht der Wirtschaft. Fast 90 Prozent der deutschen Wählerinnen und Wähler haben ihre Stimme einer Partei gegeben, die Europa auf die eine oder andere Art verändern, aber nicht abschaffen will. Das ist der klare Auftrag an die deutsche Politik, in Europa nicht länger als Bremser aufzutreten, sondern voranzugehen und mit klugen Entscheidungen Europa besser und gerechter zu machen.
Guido Zeitler, NGG-Vorsitzender
Dieser Kommentar erscheint auch in einigkeit Nr. 2, 2019