Jens Spahn (CDU) glaubt, das Heilmittel gegen den Fachkräftemangel und zur Sicherung der gesetzlichen Rente gefunden zu haben: Er will die Möglichkeit nach 45 Beitragsjahren in der gesetzlichen Rente ab 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen zu können, abschaffen. Unterstützung bekommt er dafür erwartungsgemäß von den Arbeitgeberverbänden. Ganz anders bewertet Claudia Tiedge, stellvertretende Vorsitzender der NGG den Vorstoß: „Das ist der falsche Weg und absolut unangebracht. Wer diese Möglichkeit jetzt einfach streicht, bestraft genau die, die die eigentlichen Leistungsträger sind“. Denn nur wer die Voraussetzungen für die vorzeitige abschlagsfreie Rente erfüllt, also besonderes langjährige Beschäftigungszeiten von 45 Jahren nachgewiesen hat, kann vor dem 65. Lebensjahr abschlagsfrei in Rente gehen. Und schon heute können lediglich die Jahrgänge bis 1959 mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. Für die späteren Jahrgänge steigt das vorzeitige Renteneintrittsalter ohne Abschläge langsam an. Aktuell liegt es bei 64 Jahren und zwei Monaten und steigt dann für nach dem 1. Januar 1964 geboren weiter auf 65 Jahre. Wer 45 Jahre lang hart gearbeitet hat muss auch weiterhin abschlagsfrei in Rente gehen können.
Tiedge weiter: „Und das sind in der Regel Menschen, die eine Ausbildung gemacht haben. In unseren Branchen zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie, in der Hotellerie oder auch in der Gastronomie. Schichtarbeit und Arbeiten unter hohem Zeitdruck gehören in vielen dieser Berufe zum Alltag. Bis ins hohe Alter hält das niemand durch. Der Vorschlag von Herrn Spahn ist für diese Menschen nichts anderes als eine Rentenkürzung durch die Hintertür und das bei einem sowieso schon geringen Rentenniveau von derzeit 48%. Die gesetzliche Rente ist sicher und stabil finanziert. Dazu trägt vor allem die gute Arbeitsmarklage und die hohe Produktivität bei, die insbesondere die Beschäftigten erarbeiten. Wir brauchen daher nicht weniger, sondern mehr Rente und zukünftig auch ein höheres Rentenniveau von 50% und mehr."
Dass ein späterer Eintritt in den Ruhestand nicht nur eine höhere Belastung, sondern auch eine Beeinträchtigung der Gesundheit und einen früheren Tod zur Folge haben kann, haben Forscher*innen der Universitäten Bonn und Mannheim kürzlich herausgefunden. Die Forscher*innen kommen anhand von Daten aus Spanien zu dem Schluss, dass eine Verzögerung des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben um ein Jahr, das Risiko, im Alter zwischen 60 und 69 Jahren zu sterben, um 4,2 Prozent erhöht. Bei Arbeitnehmer*innen mit einem niedrigen Qualifikationsniveau ist es sogar ein Anstieg um 5,4 Prozent. „Wer am Renteneintrittsalter dreht, spielt mit der Gesundheit der Menschen. Das ist unverantwortlich. Die Studie macht deutlich: Gerade für Menschen in körperlich anstrengenden oder psychosozial belastenden Berufen ist der Verlust des Anspruchs auf eine vorzeitige Rente mit dem realen Risiko verbunden, vorzeitig zu sterben - und das betrifft viele Menschen in den von der NGG vertretenen Branchen.“ fasst Tiedge die Studie zusammen.
Immerhin: Wer im Beruf Erfolgserlebnisse hat, und Anerkennung erfährt, bei dem hat das Renteneintrittsalter laut Studie keinen Einfluss auf die Sterblichkeit. Aber Tiedge betont: "Die Lösung für den Fachkräftemangel kann nicht darin bestehen, die Menschen zu zwingen, länger zu arbeiten."