Gerade einmal 1.000 Meter Luftlinie entfernt von dem Ort, an dem in Leipzig Weihnachten 1865 die Vorläuferorganisation der NGG, der Allgemeine Deutsche Cigarrenarbeiterverein (ADCAV), gegründet wurde, tagte am 29. und 30. September 2015 eine politisch-historische Konferenz mit dem Titel „150 Jahre Solidarität im Wechsel der Zeiten“. Rund 75 Teilnehmende beschäftigten sich u.a. mit den Anfängen der Gewerkschaften in Deutschland und damit auch mit den Wurzeln der NGG, der ältesten deutschen Gewerkschaft.
Urlaub, Mindestlohn, Mutterschutz? Nicht selbstverständlich
Die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger hob in ihrer Eröffnungsrede insbesondere die Bedeutung von Friedrich Wilhelm Fritzsche, dem Gründungsvater und Präsidenten des ADCAV, hervor. In ihrem Rückblick auf die 150-jährige Geschichte der NGG erinnerte sie daran, dass vermeintliche Selbstverständlichkeiten wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Frauenrechte und Mutterschutz, bezahlter Urlaub und Recht auf überbetriebliche Ausbildung, auf Bildungsurlaub und Mindestlohn eben nicht selbstverständlich und auch keine freundlichen Geschenke von Arbeitgebern oder fürsorglichen Regierungen, sondern hart erkämpft worden seien: „mit Mut und manchen Opfern“. Insbesondere in der Gründungsphase der Gewerkschaften sei „sich zu wehren, buchstäblich notwendig gewesen, um eben die Not zu wenden“.
Weitere spannende Vorträge und Diskussionen widmeten sich den Themenbereichen „Protest und Solidarität“, „Würde und Wandel der Arbeit“ und Transnationale Perspektiven“. Es wurde deutlich, dass LohnarbeiterInnen in der Mitte des 19. Jahrhunderts eigentlich keine andere Wahl blieb, als sich zu organisieren. Die industrielle Revolution hatte sie in unbeschreibliche Not getrieben: Sie mussten jeden Tag bis zu 20 Stunden arbeiten, wurden miserabel bezahlt, und der Kost- und Logiszwang machte sie zu beliebig verfügbaren leibeigenen ihrer Meister. Bei den Zigarrenarbeitern, die bei ihrer lautlosen Arbeit gut nebenbei diskutieren und einem Vorleser aus den eigenen Reihen – noch heute das NGG-Symbol für Solidarität in der Arbeitswelt – lauschen konnten, zeigte sich als erstes ein politischer Radikalismus. Überdies waren sie schon früh mobil auf dem europäischen Arbeitsmarkt, so dass sie auch außerhalb Deutschlands Teil einer mehr oder minder solidarischen Arbeiterbewegung wurden. Der Gedanke einer internationalen Solidarität erfuhr jedoch mit dem Beginn des ersten Weltkriegs 1914 eine herbe Niederlage, als man gegen andere Nationen ins Feld zog. Auch die deutsche Sozialdemokratie, so die These auf der Konferenz, sei an diesem Konflikt zerbrochen.
Höhepunkt des ersten Konferenztages war die „Szenische Revue eines abenteuerlichen Lebens“, in der Schauspielerinnen den Revolutionär, Gewerkschaftsgründer, Sozialdemokraten und Arbeiterdichter F.W. Fritzsche auf erfrischende Art und Weise „zum Leben erweckten“.
Weitere Infos beim Veranstalter, der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt (KOWA) Leipzig
Infos zur Geschichte der Gewerkschaft NGG, der ältesten Gewerkschaft in Deutschland: www.ngg.net/150